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Erschienen am
18.4.2010

Warum das Marketing nicht für das Internet zuständig sein kann

Ralf Pfau

"Frau Meier, wer ist denn bei uns für das Internet zuständig?" Das Web 2.0 fordert von Healthcareunternehmen individuelle Interaktion auf höchstem medizinischen Niveau. Das kann nun eindeutig nicht mehr die Aufgabe der Kommunikations- oder Marketingabteilung alleine sein. Wie gehen Unternehmen diese Herausforderung an?

"Frau Meier, wer ist denn bei uns für das Internet zuständig?"Wir alle kennen diese Frage in der einen oder anderen Variante. Als das Internet vor knapp 16 Jahren populär wurde, war die Antwort einfach: Es war die Aufgabe der IT-Abteilung, eine erste Website zu etablieren. Während des Internet-Booms erhöhte sich die Relevanz des Internets, und es wurden Stabsstellen eingerichtet oft direkt unter dem Vorstand. In den letzten Jahren der Professionalisierung wanderte die Verantwortlichkeit für das Internet in die Marketing- und Kommunikationsabteilungen, die erste Ansätze der Online-Werbung und Markenbildung ausprägten. Doch wer ist heute für das Internet bzw. für das Web 2.0 zuständig?Das Spektrum der Angebote von Healthcare-Unternehmen im Internet hat sich stark erweitert: Healthcare-Unternehmen richten online Netzwerke für Ärzte ein, klären Patienten über Indikationsgebiete auf, begleiten Ärzte in ihrer digitalen Fortbildung, bieten Verbrauchsgüter in Online-Shops an, promoten ihre KOLs etc. Und das nicht nur in einem Indikationsgebiet. Nahezu alle Kunden von Spirit Link müssen mindestens 10 Indikationsgebiete adressieren und in diesen oft auch Allgemeinärzte, Spezialisten, Pflegepersonal, Apotheker, Laien, Krankenhaus-Management etc. individuell ansprechen. Individuelle Interaktion ist gefragt und zwar auf höchstem medizinischen Niveau. Das kann nun eindeutig nicht mehr die Aufgabe der Kommunikations- oder Marketingabteilung alleine sein.

Woher kommen diese hohen Anforderungen?

Die Zeiten, in denen wir für Marken und Produkte eine Kampagne entwickelt haben und die Botschaften in Push-Manier während des Launches gestreut wurden, sind vorbei. Einweg-Kommunikation wird in der heutigen Online-Welt nicht mehr akzeptiert, besonders wenn ein Healthcare-Unternehmen dort auftauchen möchte, wo die medizinische Diskussion stattfindet: in den Ärzte- und Patienten-Netzwerken.Zudem werden die Ansprüche an die Inhalte höher. Die Beziehung der Ärzte zur Industrie war eines der Top Themen 2009 im Ärztenetzwerk Coliquio, und die Essenz könnte man so formulieren: „Kommunikation erwünscht, aber keine Marketing-Inhalte bitte“Auch in einer Umfrage bei doctors.net.uk im Jahr 2008 gaben die Ärzte eindeutig an, welche Ansprüche sie an Informationen von Healthare-Unternehmen haben:

  • Klinisch relevante Inhalte (Beispielfälle, Papers)
  • Informationen und Ansätze für die tägliche klinische Arbeit (SOPs, Protokolle, Leitlinien)
  • Alles aktuell und mit klaren Quellenangaben (Kongressberichte, Originalpublikationen)
  • Gezielt abrufbar nach Profil und Indikationsgebiet.

(Quelle: Doctors.net.uk members survey, June 2008 n=3762)Wer ist also für das Internet zuständig, wenn es um Ärztekommunikation geht? Wer ist zuständig, wenn es um Patienteninformationen geht?

Die 3 Archetypen der Web-Organisation in Healthcare-Unternehmen

Eine gewisse Einigkeit gibt es bezüglich der Erkenntnis, dass alle kommunikationsrelevanten Abteilungen im „Internet-Boot“ sitzen müssen. Wir brauchen Marketing, Produktmanagement, Produktentwicklung, Customer Service, Medical Advisors und Application Specialists, die hier zusammenwirken. Die Frage stellt sich zum organisatorischen Ansatz: Wie agieren diese Abteilungen nach Außen markentechnisch konsistent, medizinisch korrekt und juristisch vertretbar? Wir sehen momentan folgende drei Archetypen in der Organisation der Internetkommunikation:

a) Die produktive aber unsichere Macher-Strategie

Dieser Wildwuchs-Ansatz lässt Innovatoren freien Lauf: „Wer will der darf“ ist das Motto. Dieser momentan sehr verbreitete Zustand bringt natürlich schnelle Ergebnisse für das Unternehmen und neue Strategien werden in Pionier-Manier umgesetzt. Nicht zu unterschätzen sind jedoch die rechtlichen Risiken und mögliche Imageschädigung, wie die vielen Worst-Practice-Beispiele großer Unternehmen gezeigt haben. Für Pharmaunternehmen ist diese Strategie aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen überhaupt nicht möglich.

Vorteile:

  • Zügige Nutzung von Online-Potentialen
  • Innovatives Image für das Unternehmen

Nachteile:

  • Hohes rechtliches Risiko bei medizinischen Informationen
  • Möglichkeit eines Image-Verlusts bei Verstößen gegen die Web-2.0-Ethik
  • Starke Bindung der Initiativen an Mitarbeiter Projekte können bei Mitarbeiterwechsel „untergehen“
  • Medizinische und rechtliche Freigaben sind nicht immer gesichert.

b) Die sichere aber träge Internetzentrale

Viele Unternehmen und insbesondere Pharmaunternehmen versuchen Ihre Internetkommunikation durch eine Art „Web-Zentrale“ zu sichern. Diese Zentralstelle stellt die Qualität der Online-Kommunikation durch juristische, medizinische und redaktionelle Stabsstellen sicher. Unweigerlich kommt es dadurch aber zu einer erheblichen Verlangsamung der Publizierungsprozesse. Diese Internetzentrale ist somit ein Garant für die Qualitäts- und Risikoabsicherung, aber auch ein Engpass für eine produktive Internetkommunikation. Die Internetzentrale wird oft aus den Marketing- und Kommunikationsabteilungen geboren, was mehr oder weniger freiwillig geschieht.

Vorteile:

  • Zentrale Steuerung der Maßnahmen sichert Konsistenz und Markenimage
  • Hohe rechtliche und medizinische Absicherung

Nachteile:

  • Langwierige Veröffentlichungs- und Kommunikationszyklen
  • Produktverantwortliche Abteilungen sind zu weit vom Kunden entfernt

c) Die aufwändige aber zukunftsversprechendste Ausbildungstrategie

Der zukunftsträchtigste Organisationsansatz ist wohl der einer lernenden Organisation, in der Mitarbeiter, die in die Online-Kommunikation involviert sind, mit Ausbildung und optimalen Tools bei Ihrer Arbeit unterstützt werden.Dieser Ansatz wird von einem gezielten Standardisierungs- und Ausbildungsprogramm getrieben, das Guidelines festlegt, Mitarbeiter in Trainings ausbildet, Erfahrungsaustausch und Wissensmanagement zum Thema betreibt und optimale Web-2.0-Tools etabliert und schult.Natürlich wird sofort klar, dass dieser Ansatz nur mit einer hohen Lernkurve erfolgreich wird, was jedoch einen erheblichen finanziellen und zeitlichen Einsatz des Unternehmens erfordert. Zudem entfaltet diese Strategie ihre Wirksamkeit erst mittelfristig, wodurch sie für unmittelbare Internetaktivitäten nicht geeignet ist.

Vorteile:

  • Langfristig sinnvollster Weg zur wertschöpfenden Online-Kommunikation
  • Hohe Lernkurven in der gesamten Organisation
  • Optimale Integration des Internets in die Geschäftsprozesse

Nachteile:

  • Hoher finanzieller und zeitlicher Einsatz
  • Keine kurzfristige Wirksamkeit

Welches Schweinderl darf es denn nun sein?

Das Fazit ist recht klar: Nahezu alle Unternehmen haben den Wildwuchs überwunden oder übersprungen und befinden sich in der Phase der zentralisierten Steuerung, um unmittelbare Ergebnisse bei rechtlicher und medizinischer Absicherung zu erzielen. Langfristig werden sich aber die meisten Unternehmen in die Richtung der unterstützen Selbstverantwortlichkeit begeben. Die Frage ist nur, ob dieser Übergang in den kommenden Jahren gezielt abläuft oder in der Hoffnung stecken bleibt, dass sich die Mitarbeiter das nötige Wissen schon aneignen werden.Mich würde interessieren, in welcher Phase Ihr Unternehmen gerade steckt, oder ob sie sogar ein anderes Organisationsmodell bezüglich Web 2.0 betreiben. Einfach einen Kommentar schreiben, gerne kurz und anonym.

Ralf Pfau

Ralf Pfau

brennt für neue Ideen und unkonventionelle Lösungen. Als Creative Director bei Spirit Link zeigt er Healthcare-Unternehmen, wie man digitale Duftmarken hinterlässt und wie Kommunikationsstrategien für ihre Produkte auch kanalübergreifend funktionieren. Für ihn sind hochwertige Inhalte mit Substanz nach wie vor entscheidend, um bei Ärzten und Patienten zu punkten. Aktuell arbeitet er daran, wie neue Verpackungen und Lieferwege für diese Inhalte aussehen können. Für ihn ist klar: Ein stimmiger Mix aus Inhalt, Verpackung und Lieferweg bringt Aufmerksamkeit, schafft Marke, liefert Mehrwert und macht das Gesundheitswesen wieder ein Stück besser.

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Ralf Pfau

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